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Turnen in der Coronazeit
Frage: Welche Trainingsalternativen haben die Turner während der Lockdowns entwickelt?
Antwort: Keine.
Zur Beleuchtung der Hintergründe dieser gleichermaßen einfachen wie unbefriedigenden Antwort muss etwas weiter ausgeholt werden:
Die Ursprünge des Turnens liegen tausende Jahre zurück. Sinn und Zweck der Leibesübungen in der Antike waren zum einen die körperliche Ertüchtigung der Handwerker oder Seeleute als Arbeitsvorbereitung oder das Aufwärmen der Krieger vor der Schlacht. Für Gaukler und Schausteller war es der Broterwerb, den jungen Männern Kraft- und Mutprobe, mitunter wurden die Übungen einfach nur zur Belustigung und zum Zeitvertreib gemacht. Erste Geräte waren also Pferdeattrappen aus Holz, um das Auf- und Absitzen zu üben, sowie Balken und Gerüste zum Balancieren, Taue und Netze zum Klettern oder Hindernisse zum Drüberspringen. So ähnlich gibt es das heutzutage wieder als Bestandteil von „Parcours“ oder „Freerunning“, hat aber mit Gerätturnen nichts zu tun.
Im 18. und 19. Jahrhundert diente das Turnen hauptsächlich als Ausgleich von einseitigen Arbeitsbelastungen z.B. der Fabrikarbeiter und wurde auch als eine Form der pädagogischen Erziehung von Kindern und Jugendlichen gebräuchlich, Turnvereine schossen wie Pilze aus dem Boden, immer größere Turnfeste wurden bald deutschlandweit gefeiert.
Turnen als Wettkampfsport etablierte sich ab 1879, als erstmals eine Wettkampfordnung aufgestellt wurde und die Wettkampfgeräte (Pferd, Barren und Reck) definiert waren. Zu einem Wettkampf im Gerätturnen gehören seit 1920 sechs Geräte (bei den Damen nur vier). Das sind Boden, Pauschenpferd, Ringe, Sprung, Barren und Reck (Sprung, Stufenbarren, Schwebebalken, Boden). Diese Geräte wurden im Laufe ihrer Entwicklung sehr komplex, groß, schwer und teuer und stehen in aller Regel in einer beheizten Turnhalle.
Und da geht das Problem los:
Als im März und November 2020 durch Lockdowns das gesellschaftliche Leben zum Erliegen kam, wurden auch die Turnhallen zugesperrt. Der Zugang zu den Geräten, auf die wir Turner beim Training angewiesen sind, war nicht mehr möglich. Und ein adäquater Ersatz ist auch mit viel gutem Willen nicht zu beschaffen. Also völliger Stillstand beim Turnen, nicht nur in der USG.
Frage: Wenn die Hallen geschlossen sind, kann man denn nicht irgendwo draußen turnen?
Die Anfänge des neuzeitlichen Turnens im 18. Jahrhundert fanden unter freiem Himmel statt, als sich die Sportler auf der grünen Wiese ihre Turnplätze selbst zimmerten. In weiten Teilen Osteuropas, Asiens oder Afrikas ist man auch heute noch auf diesem Stand, indem sich die Dorfgemeinschaften in Ermangelung an Alternativen mit wenig Geld, aber viel Herzblut und Sachverstand ihre Spiel- und Sportplätze selber bauen.
Spielplatz in Russland (Quelle: vk.com)
In Chemnitz läuft es schon seit Jahrzehnten genau andersrum: hier wird mit viel Geld und kaum Sachverstand gebaut, und dabei ist die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder völlig aus dem Blickfeld entschwunden. Fähigkeiten wie Kraft und Geschick, Beweglichkeit und Mut, Gleichgewichtsempfinden und Orientierungsvermögen (die auch die Basis des Turnens sind) werden so kaum noch gefördert, denn es fehlt den Spielplätzen an elementarem Zubehör. Ohne sinnvoll angeordnete Reckstangen, Barrenholme, Kletterstangen, Ringe oder Balancierbalken werden die Heranwachsenden von allem turnerischen Ausprobieren abgehalten. Man konzipiert nach dem Motto: „Wo man nicht hochklettern kann, kann man auch nicht runterfallen“. Doch nur mit Versteckspielen allein ist der körperlichen Entwicklung unserer Kinder nicht gedient.
Antwort: In der Coronazeit sind die hiesigen öffentlichen Spiel- und Sportplätze uns Turnern völlig nutzlos, denn nirgends kann ein Aufzug oder eine Kippe, Handstand oder Umschwung geübt werden, von schwierigeren Elementen ganz zu schweigen.
Spielplatz im Chemnitzer Stadtpark
Uns bleiben also nur das geduldige Abwarten der Lockdowns und die Vorfreude auf die turnerische Aufholjagd, sobald die Hallen wieder offen sind.
Ein Turner ohne Turnhalle ist eben wie ein Fisch ohne Wasser.
Frank Meyer